Einer der Orte, die einst der heutigen Wurster Küste vorgelagert waren, ist Lebstedt. Er gehörte mit Imsum und Weddewarden zum Kirchspiel Imsum. Mit seinen hohen Eschen und den gewaltig ausladenen Reithdächern bot die Ortschaft ein Bild satten Wohlstands. In der Tat waren die Lebstedter Bauern reich. Ihr Land trug mehr Frucht als das aller anderen Ortschaften ringsum. Die wogenden Weizenfelder brachten ihnen im gleichen Maße Gewinn wie die goldene Rapssaat. Kaum konnten die Scheunen der Lebstedter diesen Segen fassen und so waren denn auch die Geldschatullen voll von blankem Silber und Gold. Die Schränke und Truhen in ihren Wohnungen strotzen von feinstem Linnen und ihre Frauen kleideten sich in Samt und Seide. Anderwärts im Lande waren Licht und Schatten gleichmäßig verteilt. In Lebstedt schien stets die Sonne. Solche Gnade des Himmels hätte die Lebstedter zu Dank gegen ihren Schöpfer verpflichten müssen. Aber gerade das Gegenteil war der Fall. Der Wohlstand machte die Lebstedter übermütig. Sie hatten schon manche Probe dieses Übermuts abgelegt, da kamen sie auf einen besonders frevelhaften Einfall. Es genügte ihnen nicht mehr, ihre Stuben wie früher mit Sand auszustreuen. Sie nahmen stattdessen Weizenmehl. So vergeudeten sie leichtfertig die kostbarste Gabe des Himmels und vergingen sich auf das Schwerste gegen ihren Schöpfer. Die Leute ringsum sahen diesem Treiben mit Unwillen zu und gaben auch wohl ihrer Entrüstung Ausdruck. Doch gelang es ihnen nicht, die Lebstedter zu bekehren. Da hatte eines Tages eine alte Frau, die als einzige das gottlose Treiben der übrigen Lebstedter abgelehnt hatte, ein sonderbares Erlebnis. Wie sie des Abends die Küche betritt, bemerkt sie, dass sich aus dem noch warmen Herd ein lebender Aal herauswindet. Die Frau erschrickt über diesen Anblick nicht wenig. „Neem wullt du denn noch hen so lot op‘n Obend?“, ruft sie verwundert. Aber der Aal gibt natürlich keine Antwort. Inzwischen ist er auch ihren Augen entschwunden. Wie die Frau aber noch des näheren über das merkwürdige Erlebnis nachdenkt, kommt ihr der Gedanke, der Aal könnte das Vorzeichen einer schweren Prüfung sein, vielleicht sogar des Unterganges des sündigen Lebstedts sein. In aller Eile packt sie deshalb ihr Habe zusammen, um sich auf den Weg zu machen. Und das soll ihre Rettung werden. Kaum ist die Frau bei der Imsumer Kirche angelangt, da bricht ein furchtbarer Sturm aus und eine gewaltige Flut verschlingt das Land.

ZURÜCK